Am 25. November ist internationaler Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen. Die UN Generalversammlung verabschiedete diesen Gedenk- und Aktionstag 1999. Sie war beunruhigt darüber, dass Frauen nicht in den vollen Genuss ihrer Menschenrechte und Grundfreiheiten kommen und es nicht gelungen ist sie gegen Gewalt zu schützen.
Warum geht es uns alle an? Darum: 20 Jahre später – und es hat sich nichts geändert. Jede dritte Frau in Deutschland hat mindestens einmal in ihrem Leben körperliche oder sexuelle Partnerschaftsgewalt erlebt, d.h. einfache oder schwere Körperverletzung, Bedrohung, Nötigung, Freiheitsberaubung, Totschlag, Mord oder Vergewaltigung. Fast die Hälfte der Frauen lebte mit dem Tatverdächtigen in einem Haushalt zusammen. Täter sind oft Ehemänner, Partner oder Ex-Partner. Betroffene von Partnerschaftsgewalt sind zu über 82 Prozent Frauen, bei Vergewaltigung und sexueller Nötigung sind es sogar fast 100 Prozent. Tatsächlich wird jeden zweiten bis dritten Tag eine Frau von ihrem Partner oder Ex-Partner umgebracht. Diese Zahlen beziehen sich ausschließlich auf Deutschland.
Warum geht es uns alle an? Darum: Gewalt gegen Frauen betrifft alle sozialen Milieus, alle Bildungs- und Einkommensschichten, alle Altersgruppen, alle Nationalitäten, alle Religionen und alle Kulturen.
Warum geht es uns alle an? Darum: Folgen von partnerschaftlicher Gewalt sind sowohl akut als auch langfristig. Neben körperlichen Verletzungen wie Knochenbrüchen, Schädigung innerer Organe, Hirnschädigungen und Entstellungen, kommt es zu psychischen Folgeschäden wie Angstzustände, Schlafstörungen, Depressionen, und Suizidgedanken oder -versuchen. Bei wiederkehrender Misshandlung entwickeln Betroffene posttraumatische Belastungsstörungen. Aber nicht nur Betroffene erfahren die weitreichenden Folgen von Gewalt. Kinder, die Gewalt beobachten oder selbst erfahren, neigen dazu später selbst gewalttätig zu werden oder sich in eine Misshandlungsbeziehung zu begeben. Der Großteil von Menschen in Psychiatrien erlebten Gewalt in der Kindheit. Natürlich leidet auch die Gesellschaft unter der Männergewalt. Frauenhäuser, Polizeieinsätze, Gerichtsverfahren, Arbeitsausfälle, ärztliche und psychologische Behandlungen erzeugen Kosten. Gewalt gegen Frauen schwächt unsere Gesellschaft und ebnet den Weg für weitere Gewalt.
Warum geht es uns alle an? Darum: Häusliche Gewalt entsteht nicht aus einer konkreten Situation heraus. Sie entsteht aus einem andauernden Macht- und Abhängigkeitsverhältnis zwischen Täter und Opfer. Sie ist ein Ausdruck von Macht, Kontrolle, Selbstbestätigung und Durchsetzung. Sie entsteht vermehrt dort, wo patriarchales Denken vorherrscht. Es sind keine Einzelfälle, wie die Statistik eindrucksvoll beweist. Es sind gesellschaftliche (patriarchale) Strukturen. Es sind unsere geliebten Rollenbilder und Klischees - hier der starke, dominante, aggressive, durchsetzungsstarke Mann („Retter“ und „Beschützer“) und dort die freundliche, einfühlsame, verständnisvolle, umsorgende Frau („Opfer“ und „Gerettete“) – die letztlich zu diesem Ausmaß an Gewalt gegen Frauen führen. Aufgrund der Rollenbilder werden Jungen dazu erzogen aktiv zu sein, mit Altersgenossen zu kämpfen, zu rivalisieren und sich zu wehren („Sei ein richtiger Mann!“). Männlichkeit wird somit eng mit Gewalt verbunden. Sind Männer vielleicht von Natur aus einfach aggressiver? Studien zeigen, dass Frauen und Männer genauso oft und in gleichem Ausmaß Wut verspüren. Jedoch leben Männer diese Wut sehr viel häufiger aus. Um das klarzustellen: es geht nicht darum, Männer zu verunglimpfen. Es soll aufgezeigt werden, dass Gewalt gegen Frauen, so flächendeckend wie es bei uns passiert, ein Ausdruck bzw. eine Folge gesellschaftlicher Rollenbilder und Machtstrukturen ist.
Warum geht es uns alle an? Darum: Wir haben festgestellt, dass Männer nicht per se die schlechteren Menschen sind und Frauen nicht per se die besseren Menschen und überhaupt, dass unser biologisches Geschlecht nicht unseren Charakter und Verhalten bestimmt, sehr wohl aber was wir sozial dem jeweiligen Geschlecht zuschreiben. Das ist etwas, das wir ändern können. Die gute Nachricht ist also, dass wir etwas dagegen tun können. Was können Sie konkret tun? Halten Sie die Augen nach Warnsignalen offen, die erkennen lassen, dass die Machtverhältnisse in einer Partnerschaft ungleich verteilt sind. Eine Misshandlungsbeziehung ist von Anfang an eine Misshandlungsbeziehung, nicht erst, wenn der erste Schlag ausgeteilt wird. Es ist ein schleichender Prozess, der über Eifersucht, Kontrolle, immer stärker wird, bis hin zu Beleidigungen, Demütigungen, sozialer Isolation und körperlicher Gewalt. Auch psychische Misshandlung und emotionale Terrorisierung haben weitreichende Folgen und müssen ernst genommen werden. Sie sind viel weniger offensichtlich und daher schwerer zu identifizieren und leichter zu verschleiern. Sie untergraben das Selbstwertgefühl, führen zu verzerrter Realitätswahrnehmung, zerstören das Selbstbild und machen das Opfer handlungsunfähig. Es ist ein Prozess, bei dem viele Frauen erst davon ausgehen, dass sie die Probleme selbst regeln können, indem sie beispielsweise versuchen auf ihren Partner einzugehen. Erst viel später bemerken Betroffene, dass etwas aus den Fugen geraten ist. Misshandlungsbeziehungen unterliegen einer Eigendynamik, die häufig einem bestimmten Muster folgt. Typisch ist, dass der Gewaltausübende sich entschuldigt und gelobt sich zu bessern, aber dann wieder gewalttätig wird. Mit der Zeit können die Abstände zwischen den Gewalttaten kürzer werden oder die Schwere der Gewalt zunehmen. Es ist ein zermürbender Prozess, der sehr schambesetzt ist. Das macht es für Betroffene so schwer, darüber zu reden. Mögliche erste subtile Anzeichen für Außenstehende (Angehörige, Freund*innen, Kolleg*innen) könnten sein, dass die betroffene Frau anders als anfänglich nicht mehr offen über ihre Beziehung redet, sich immer mehr zurückzieht, keine Zeit mehr hat und die Kontakte seltener werden. Vielleicht ist sie stiller als früher, in der Gegenwart des Partners angespannt und hat Angst ihn zu verärgern. Sie trifft keine eigenen Entscheidungen mehr und muss immer zuerst Rücksprache mit ihrem Partner halten. Sie erhält ständig (Kontroll-) Anrufe von ihrem Partner. Wenn Sie den Verdacht haben, dass eine Frau von Gewalt betroffen ist, sprechen Sie die Frau darauf an, fragen Sie konkret nach und signalisieren Sie Hilfsbereitschaft. Ermutigen Sie zum Sprechen, nehmen Sie das Erzählte ernst und zeigen Sie Verständnis. Vermeiden Sie es, die Betroffene unter Druck zu setzen. Zeigen Sie in jedem Fall Hilfemöglichkeiten auf. Es gibt das Hilfetelefon 08000 116 016, an das sich Betroffene und Angehörige jederzeit wenden können. Ebenso können lokale oder regionale Hilfsverbände kontaktiert werden, wie z.B. Frauen helfen Frauen e.V. in Wiesbaden. An solche Hilfsstellen können sich auch Personen hinwenden, die Gewalt ausüben und die damit aufhören wollen. Statistisch betrachtet, ist es sehr wahrscheinlich, dass Sie ohne es zu wissen Personen kennen, die von Gewalt betroffen sind oder Gewalt ausüben. Oder Sie sind selbst betroffen, aber reden (noch) nicht darüber. Darum: Halten Sie die Augen offen und brechen Sie das Schweigen. Das Hilfetelefon veranstaltet anlässlich des 25. Novembers eine Mitmachaktion, bei der Sie sich mit dem Aktionsschild des Hilfetelefons fotografieren und das Foto mit dem Hashtag #schweigenbrechen in Ihren sozialen Netzwerken teilen können. https://www.hilfetelefon.de/kampagnen-aktionen/aktionen/schweigen-brechen.html
Das Ausmaß der partnerschaftlichen Gewalt ist schockierend und ein unhaltbarer Zustand, über den zu selten gesprochen wird, zu wenig beachtet und zu wenig bekämpft wird. Deutschland, das Land in dem Frauen und Männer gleichberechtigt zusammen leben? In dem das Grundgesetz das Recht auf körperliche Unversehrtheit gewährt? Ist es nicht das, wozu wir uns verschrieben haben? Darum: hinterfragen Sie, was und wie Sie denken, was Sie sagen, was Sie tun, was Sie nicht tun und was Sie anderen Menschen zuschreiben oder von ihnen erwarten, aufgrund ihres Geschlecht. Hinterfragen Sie Ihre persönlichen Entscheidungen. Denn jede Entscheidung, und sei sie noch so persönlich oder privat, kann entweder bestehende Strukturen und Denkweisen untermauern oder sie kann neue Wege eröffnen.
Darum geht es uns alle an.
Darum lasst es uns alle angehen.
Autorin: Anne-Katrin Kleih
Hinweis für gewaltbetroffene Frauen
Unter der Telefonnummer 08000 116 016 finden gewaltbetroffene Frauen rund um die Uhr Beratung und Unterstützung. Zusätzlich bietet das "Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen" auf der Seite www.hilfetelefon.de Chat- und E-Mail-Beratung an.