Das Volumen der isländischen Gletscher (im Jahr 2019) entspricht etwa 9 mm des potenziellen globalen Meeresspiegelanstiegs. Es ist zu erwarten, dass mit der klimabedingten Gletscherschmelze die Wassertemperatur zunimmt, sich die Gerinnestabilität dynamisiert und der hydrochemische Stoffhaushalt sich verändert. Es ist damit zu rechnen, dass vor allem mehr gelöster Kohlenstoff zur Verfügung steht. Somit verändern sich die Lebensbedingungen für Organismen und damit die Biodiversität solcher Fließgewässer-Ökosysteme. Doch wie genau diese Veränderungen für isländische gletschergespeisten Fließgewässer genau aussehen, ist weitestgehend unbekannt. Denn vergleichende Untersuchungen an gletschergespeisten Flüssen in arktischen Regionen fehlen weitgehend. Der Geisenheimer Wissenschaftler Dr. Martin Reiss konnte im Rahmen des europaweiten Forschungsprojekts „Arctic & Alpine Stream Ecosystem Research“ (AASER25) auf Einladung teilnehmen. Das Forschungsnetzwerk AASER (Uni Leeds, Uni Birmingham, Norwegian Institute for Water Research, Science Museum Trento, Uni Genf, Uni Iceland, Reykjavik) hat vor 26 Jahren (1996-1999) eine Grundlage geschaffen, um zu verstehen, wie Gletscher die biologische Vielfalt, Hydrologie, Geomorphologie und Wasserqualität von Flüssen in acht europäischen Bergregionen beeinflussen. Nun wurden vom 20.09.-23.09.2022 in einer weiteren Forschungskampagne im isländischen Flussgebiet Vestari-Jökulsá umfangreiche Untersuchen zur biologischen Vielfalt, Hydrologie, Geomorphologie und Wasserqualität vorgenommen. Das Forschungsteam bestand aus den Teilnehmenden Prof. em. Dr. Gíslason (University of Iceland, Reykjavik), Ragnhildur Þ. Magnúsdóttir und Iris Hansen (Marine and Freshwater Research Institute, Reykjavik) sowie Prof. Dr. Chifflard (Universität Marburg) und Dr. Martin Reiss (HGU). Beim Vestari-Jökulsá handelt es sich um ein arktisches, gletschergespeistes Fließgewässer, welches vom Auslassgletscher Sátujökull den Plateaugletscher Hofsjökull im zentralen Hochland nach Norden entwässert. Entlang des Flusses wurden vom aktuellen Gletschertor bis in das Tiefland Probenstellen angefahren und untersucht. Dies geschieht, um die Auswirkungen des Gletscherschwunds auf die flussabwärts gelegenen Ökosysteme zu dokumentieren, politische Entscheidungsträger und Naturschutzgruppen zu informieren und einen Beitrag zu künftigen IPCC- und IPBES-Berichten zu leisten. Zudem konnte Dr. Martin Reiss für ein gemeinsam mit der Uni Marburg gestartetes und von der DFG gefördertes Projekt (siehe: https://hs-gm.hessenfis.de/converis/portal/detail/Project/12116033) in die Vorplanung vor Ort gehen und die Zusammenarbeit mit dem Marine and Freshwater Research Institute und der University of Iceland in Reykjavik organisieren.
Kontakt:
Dr. Martin Reiss
Institut für Landschaftsplanung und Naturschutz
Kompetenzzentrum Kulturlandschaft
martin.reiss(at)hs-gm.de
Tel.: 06722 502 654
Literatur:
Aðalgeirsdóttir, G., Magnússon, E., Pálsson, F., Thorsteinsson, T., Belart, J. M., Jóhannesson, T.et al. (2020): Glacier changes in Iceland from∼ 1890 to 2019. Frontiers in Earth Science, 8, 523646. https://doi.org/10.3389/feart.2020.523646
Chifflard, P., Fasching, C., Reiss, M., Ditzel, L., Boodoo, K. S. (2019): Dissolved and particulate organic carbon in icelandic proglacial streams: a first estimate. Water, 11(4), 748. https://doi.org/10.3390/w11040748
Hugonnet, R., McNabb, R., Berthier, E. et al. (2021): Accelerated global glacier mass loss in the early twenty-first century. Nature 592, 726–731. https://doi.org/10.1038/s41586-021-03436-z