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Erfahrungsbericht Auslandssemester Südafrika – Teil 3: Demographie und Township-Erfahrungen

Nun sind wir mittendrin: etwas ungläubig mustern wir die Zustände in der informellen Siedlung.
Nun sind wir mittendrin: etwas ungläubig mustern wir die Zustände in der informellen Siedlung. Fehlende Planung, Kanalisation und Abfallentsorgung zeigen sich deutlich: überall liegt Müll rum und es stinkt. Wie schlimm muss es hier bei Starkregen sein? Eines stimmt uns besonders nachdenklich: hier wachsen jene Kinder auf die so liebevoll mit uns spielen…

Im vorigen Teil meines Berichtes schrieb ich über Rugby, den Nationalsport Südafrikas, sowie meine Eindrücke zur südafrikanischen Gesellschaft. In dieser letzten Episode werde ich über die Demografie Südafrikas, einen Besuch des Townships Khayelitsha und burische Tänze berichten.

Im vorigen Teil meines Berichtes schrieb ich über Rugby, den Nationalsport Südafrikas, sowie meine Eindrücke zur südafrikanischen Gesellschaft. In dieser letzten Episode werde ich über die Demografie Südafrikas, einen Besuch des Townships Khayelitsha und burische Tänze berichten.

Wie im letzten Teil bereits angesprochen, ist die Gesellschaft Südafrikas hochgradig heterogen. Es gibt etwa zwölf verschiedene Ethnien oder kulturelle Gruppen und allein in der weißen Bevölkerung werden verschiedene Sprachen gesprochen und Kulturen gelebt. Über diese möchte ich nun berichten, da ich mit ihnen einige Zeit verbracht habe. Neben den ehemaligen Buren (Afrikaaner), welche den größten Anteil stellen, unterscheidet man noch zwischen Menschen britischer Abstammung, Nachfahren anderer Europäer, welche in Südafrika Englisch sprechen, und Nachfahren der französischen Hugenotten. Letztere sprechen nebst Englisch auch Französisch und viele Familiennamen, auch außerhalb dieser Minderheit, haben einen französischen Klang. Die ehemaligen Buren sprechen Afrikaans, welches vom Niederländischen abstammt, sich aber mit der Zeit durch viele Einflüsse der Englischen, Deutschen und malaysischen Sprache soweit verändert hat, dass es inzwischen als eigene Sprache gilt. Doch nicht nur die Sprache, auch die Kultur der Afrikaaner ist in manchen Belangen anders als jener der aus Europa stammenden Ethnien. So beobachte ich unter meinen Kommilitonen eine ausgeprägte Form der Segregation oder Cliquenbildung entsprechend der kulturellen Zugehörigkeit, da allein das Afrikaans die Menschen voneinander trennt. Obwohl Englisch eine Art verbindende Leitsprache zwischen all den diversen Kulturen ist, halten die Afrikaaner gerne an ihrer Sprache fest und scheinen gar das Englische zu meiden. Dies bekomme ich schließlich auch während Gruppenarbeiten oder im Umgang in der Freizeit zu spüren, da meine Mitmenschen lieber Afrikaans sprechen, als auf mich Rücksicht zu nehmen und ins Englische zu wechseln. Doch auch manche Britisch-Stämmigen meiden das Afrikaans oder können es erst gar nicht sprechen. Irgendwann lerne ich Mark, einen jungen Mann mit deutschen Wurzeln, kennen und er erklärt mir, dass er zwar Afrikaans spreche, aber in seiner Freizeit lieber mit anderen Deutsch-Stämmigen oder Deutschnamibiern verkehrt, nicht nur der Sprache wegen: „Sie haben einfach eine andere Kultur“, versucht er zu erklären. Die „british people“ werden es genauso sehen. Tatsächlich sind die Afrikaaner in der Regel konservativer und ihre Kultur hat leicht patriarchalische Züge. So stelle ich leicht verwundert fest, dass viele junge Menschen nicht nur sehr gläubig sind, sondern auch hoch-konservative Prinzipien wie „Kein Sex vor der Ehe“ vertreten und einhalten. Das ist selbst dem katholischen Rheinländer zu arg und wenn ich meinen Afrikaanern erkläre, wie die deutsche Jugend mit diesen Themen umgeht, fühle ich mich ziemlich fortschrittlich. Diese und auch andere Unterschiede überraschen mich, habe ich sie zu Beginn nicht erwartet. So stelle ich manchmal auf unangenehme Weise fest, dass meine Kultur anders ist und dass ich nicht „dazugehöre“. Das nennt man dann wohl Kulturschock.

Eine weitere interessante Erfahrung ist der Besuch des nahegelegenen Townships Khayelitsha (Xhosa für „Neue Heimat“), welches neben Soweto bei Johannisburg eines der größten des Landes ist. Es besteht aus formellen sowie informellen Siedlungen, welche nahtlos ineinander übergehen, und hat laut Zensus von 2011 rund 390.000 Einwohner, wobei ich diesen Wert aufgrund der vielen informellen Siedlungen höher schätzen würde. Faktisch grenzt es nahtlos an die umliegenden Townships, wodurch sich ein riesiges Siedlungsgebiet ergibt. Das Township wurde 1985 als Wohngebiet für Schwarze gegründet und die demographischen Verhältnisse haben sich seither nicht verändert: 98,6 Prozent der Bevölkerung sind „schwarze Afrikaner“, 0,6 Prozent „coloured“. Zirka 50 Prozent sind jünger als 25 Jahre alt. Obwohl, oder gerade weil man die Armut schon im Vorbeifahren sehen und auch riechen kann, möchte ich mir dies aus nächster Nähe ansehen. Eine von jungen Akademikern aus Khayelitsha gegründete Initiative organisiert Führungen dorthin. Diese sind mit umgerechnet rund 25 Euro pro Person für lokale Verhältnisse zwar nicht günstig, dafür jedoch gut investiert, da die Tour nicht touristisch ist, es am Ende ein gemeinsames Grillen gibt und die Erlöse den Menschen im Viertel zu Gute kommen. Wo der Staat schwach und korrupt ist, bilden sich eigene Strukturen sozialer Unterstützung. Wir werden dabei mit einem Taxibus an der Uni abgeholt und besuchen verschiedene Stationen. Diese Taxiunternehmen wickeln, mangels ÖPNV-Systems, außerhalb der Städte den allergrößten Teil des Transportes der ärmeren Bevölkerung ab. Sie gehören den lokalen Bossen, die ihre Geschäfte teilweise mit mafiösen Strukturen und Methoden führen und im Township (wahrscheinlich auch darüber hinaus) viel Macht besitzen. Angeblich bildet sich kein öffentlicher Nahverkehr aus, da es die besagten Busunternehmer zu verhindern wissen. Generell ist Bandenkriminalität ein echtes Problem im Westkap und auch einst sichere Orte wie Stellenbosch sind zunehmend bedroht. Erst kurz vor Semesterende ereignete sich ein furchtbares Verbrechen an einer jungen Studentin, welches mit lokalen Banden in Verbindung gebracht wird. Solche Ereignisse rütteln wach, zeigen sie doch rabiat auf, wie instabil die heile Welt im Studienort Stellenbosch ist und welch ein hohes Niveau an Sicherheit wir in Deutschland genießen dürfen. Die Nutzung der Busse gewährt uns jedoch offenbar Schutz und wir fühlen uns zu keiner Zeit einer Gefahr ausgesetzt, obwohl uns unsere südafrikanischen Freunde für unseren Mut bewundern, da die Mehrheit der Weißen der Meinung ist, in tödlicher Gefahr zu sein, sollten sie jemals das Township betreten. Sicherlich eine etwas verklärte Einschätzung der Situation, schließlich schreibe ich vom schönen Berlin aus diesen Artikel.

Neben einem Aussichtspunkt, von dem wir auf große Teile des Townships blicken können, verbringen wir einige Zeit im Viertel der Organisatoren. Dieses ist eine formelle Siedlung bestehend aus soliden Häusern und asphaltierten Straßen. Dort quetschen wir uns mit scheinbar der gesamten Nachbarschaft in ein winziges Wohnzimmer und reichen einen Kanister mit sauer vergorenem Hirsebier herum. Dieses wird recht simpel zubereitet: Man mische Mais- und Sorghummehl mit Wasser und koch es zwecks Verkleisterung auf. Danach lässt man es einen Tag abkühlen und gibt Sorghum-Samen hinzu (wahrscheinlich schon keimend zwecks Enzymeintrag). Nach etwa zwölfstündiger Kontaktzeit werden Keimlinge und Feststoffe grob abgetrennt. Noch während die lokale Mikroflora aus der Luft wirkt, wird das „Bier“ getrunken. Den Getränketechnologen erfreut diese primitive und häusliche Form der Getränkeherstellung zwar, geschmacklich überzeugt es mich jedoch nicht, auch wenn ich als Einziger widerholt von dem Getränk koste, was mein Ansehen bei der lokalen Bevölkerung erheblich steigert.

Der interessanteste Teil des Ausflugs ist der Besuch einer informellen Siedlung. Diese bestehen aus Blechhütten, so genannten „sheds“. Für die Wasserversorgung gibt es ein paar Brunnen, manchmal finden sich ein am Siedlungsrand eine Reihe Dixi-Klos. Zugang zu Elektrizität legt man sich selbst; es wird vom Staat geduldet, da Strom und Wasser wohl umsonst seien, so wird mir erklärt. Die Siedlung ist wie ein Labyrinth und alleine möchte ich dort nicht umherirren. Da die Bewohner hier ausschließlich dunkelhäutig sind und hellhäutige Afrikaner das Township mit allen Mitteln meiden, freuen sich die Menschen sehr über unseren Besuch und wir werden energisch mit Handschlag begrüßt. Dabei lese ich in den Gesichtern auch Verwunderung. Wie in einem Werbefilm für Entwicklungshilfe laufen um die 15 Kinder mit uns umher, spielen „Engelchen flieg“, lassen sich tragen, genießen unsere Aufmerksamkeit und spielen mit dem Haar der Besucherinnen. Auch meines wird von einem jungen Mädchen bewundert und gestreichelt, es ist viel weicher als das ihre. Die Situation ist einerseits sehr friedlich und harmonisch, trotzdem empfinde ich auch Beklemmung und kann mich nicht gänzlich entspannen, da es offensichtlich ist, dass wir hier nicht hingehören, ja fast schon Fremdkörper sind. Dabei ist es nicht nur materieller Wohlstand der uns von der Welt unserer Gastgeber trennt, es sind auch Kultur, Sprache, Alltag und – hier leider auch – die Hautfarbe. Zum Zeitpunkt unseres Besuches ist es bereits Herbst und die Nächte sind mit 8 – 12 °C recht kühl, wenn man bedenkt, dass die wenigstens Häuser über eine Zentralheizung verfügen und viele Häuser in keiner Weise gedämmt sind. In unserem Bungalow pfeift der Wind oft durch und Außentemperatur ist ab Nachmittag auch Innentemperatur. Doch noch schlimmer muss der Winter in den informellen Siedlungen sein, da der teilweise heftige Regen Matsch, Müll und Kot aufschwemmt, es keine befestigten Wege gibt und die Hütten je nach Lage nicht selten in der Brühe stehen. Und hier wachsen Kinder auf – Schande. Doch trotz diesen Begegnungen mit der Armut endet unser Besuch fröhlich: Wir grillen gemeinsam, es wird Musik gespielt und ein kleiner Junge gibt seine Tanzkünste zum Besten. Wenn das Zusammenleben der Ethnien nur immer so harmonisch wäre. Wir werden zeitig vor Einbruch der Dunkelheit wieder mit dem Bus an die Uni gefahren und gehen unserer Wege, alle um eine wichtige Erfahrung reicher.

Wenn mich die Südafrikaner fragen, welche meine schönsten Erlebnisse in ihrem Land waren, muss ich an den Abend denken, an dem ich lernte, „Sokkie“ zu tanzen. Sokkie ist ein populärer Tanz der Buren, also der niederländisch stämmigen Südafrikaner, wird generationsübergreifend getanzt und ist ein wichtiger Teil der afrikaanischen Kultur. Der Name stammt von dem afrikaanischen Wort für Socke, da er im häuslichen Umfeld ohne Schuhe getanzt wird und man über den Boden gleitet. Sowohl auf Familienfeiern als auch in den lokalen Discotheken oder eigens für den Tanz ausgelegten Clubs wird Sokkie getanzt und ist somit in der jungen Gesellschaft omnipräsent. Das überrascht mich positiv, da die klassische Tanzkultur in meiner Jugend eher eine Randerscheinung war. Der Tanz selbst ähnelt dem Discofox, ist jedoch irgendwie dynamischer, da man sich und die Tanzpartnerin mehr bewegt und dreht. Außerdem wird, und das macht das ganze zusätzlich interessant, wie beim Walzer recht eng getanzt. Die Musik im Viervierteltakt ist typische „afrikaanse musiek“ und erinnert manchmal an Country Musik und manchmal an Schlager, nur eben in Afrikaans. Ich habe das Glück geduldige Südafrikanerinnen kennen gelernt zu haben, welche versuchen mir den Tanz beizubringen. An einem Abend gelingt mir der Durchbruch, da ich endlich verstanden habe, wann und wie ich die Tanzpartnerin durch die Gegend wirbeln muss. Sogar die Fallfiguren gelingen, wobei ich mich äußerst konzentriere, damit mir die Dame nicht entgleitet und zu Boden rauscht. Nach vollbrachtem erstem Tanz entlässt sie mich und legt mir nahe, die am Rand stehenden Mädchen zum Tanz aufzufordern. Dies gestaltet sich bei den Buren jedoch etwas patriarchalisch: Die Dame wird einfach bei der Hand genommen und zum Tanz entführt, um Einwilligung wird nicht gefragt. Ich ziere mich zunächst, werde aber belehrt, dass dies nun mal zur Kultur gehört – na gut. Insgesamt ist es eine wunderschöne Erfahrung, diesen Teil der Kultur zu erleben und aktiv daran teilzuhaben. Auch wenn ich meine Tanzkünste im Laufe meines Aufenthaltes in Südafrika nicht mehr zur Exzellenz bringen werde, ein wenig „afrikaans“ fühle ich mich daraufhin dennoch.

Mit dieser Schilderung endet die kleine Reportage über mein Auslandssemester in Südafrika. Trotz großem organisatorischem Aufwand vor und während des Auslandssemesters blicke ich auf eine wundervolle Zeit zurück und habe starkes Verlangen danach, zurückzukehren. Meinen Kommilitonen kann ich nur empfehlen die bestehende Kooperation der Hochschule Geisenheim mit Stellenbosch zu nutzen. Ich möchte gleichzeitig die Hochschule Geisenheim dazu ermuntern, die Kooperation weiter zu pflegen und auszubauen. Frau Thielemann und Frau Reichel möchte ich ausdrücklich für ihre Beratung und Unterstützung danken!
Ich hoffe Ihre Neugier auf das Land geweckt und ein paar Eindrücke über das Leben vor Ort vermittelt zu haben. Bleiben Sie neugierig!

Mit besten Grüßen, Florian Schrickel

Kategorien: STUDIUM, Getränketechnologie (M.Sc.), International, Weinbau und Oenologie (B.Sc.), International Office, Nachrichten

Bilderreihe

Keine Berührungsängste: die Kleinen bekommen vom Salto-Drehen nicht genug.
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"Aber nor einen wönzigen Schlock". Sauer-vergorenes Bier ist – auch wenn es hier anders aussieht – nicht mein Fall.
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Kuscheln, toben, spielen – wir waren eine willkommene Abwechslung für die Kleinen.
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Blick über Khayelitsha. Im Hintergrund eine Bergkette vor Gordons Bay und die Südatlantikküste (Falls Bay)
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Eine Gasse in einer informellen Siedlung. Die "sheds" sind ohne Erlaubnis und Fundament auf Sand gebaut.
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Unsere Gastgeber der Township Tour in ihrem Viertel.
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