Mittels kurzer Impulsreferate wurde die aktuelle Situation aus verschiedenen Perspektiven der ukrainischen sowie der deutschen Weinwirtschaft beleuchtet und Möglichkeiten der Hilfe und Solidarität für die ukrainischen Kolleginnen und Kollegen erörtert. Moderiert wurde die Veranstaltung von BDO-Präsident Prof. Dr. Erik Schweickert, Prof. Dr. Jon Hanf sowie dem aus der Ukraine stammenden und in Geisenheim tätigen Wissenschaftler Dr. Andrii Tarasov.
Zu beklemmenden Fotos ihres Weinguts Château Kurin, welches in der stark umkämpften Kherson-Region beheimatet ist, beschrieb der Sohn von Besitzer und Oenologe Denys Khalupenko die aktuelle Situation vor Ort wie folgt: „Es gibt jetzt keinen Zugang zu unserem Weingut. Rund um das Weingut gibt es kaputte Panzer und Leichen, viel Militär steht neben unserem Weingut. Die Weinberge sind nicht so viel zerstört, eine Rakete ist neben uns in die Weinberge geflogen. Das sind Teile davon…..“ Das Château Kurin, welches seit vielen Jahren durch den internationalen Wine-Travel-Award ‚Must Visit‘ bei vielen Touristen am Zufluss des Dnjepr zum Schwarzen Meer ein beliebtes weintouristisches Highlight ist, hat am 6. März 2022 nach einem Angriff einen Tag lang gebrannt und wurde dann von russischen Soldaten geplündert. So fehlt nun z.B. ein Schmalspurschlepper, um die dringend anstehenden Weinbergarbeiten überhaupt durchführen zu können. Mit einer ebenso beklemmenden Botschaft machte der Impuls von Anna Gorkun, CEO der bekannten ukrainischen Marke ‚46 Parallel Wine‘ die Herausforderungen der ukrainischen Weinwirtschaft deutlich, bei der die Produzenten gerade die größten Probleme haben. Auf Grund des Krieges sind viele Mitarbeiter beim Militär, so dass zum einen gar keine Produktion stattfinden kann, zum anderen sind die kompletten Lieferketten der Weinwirtschaft gebrochen. Weder kann man wegen der fehlenden Logistik Roh-, Hilfs- oder Betriebsstoffe beziehen, noch seine eigenen Produkte verkaufen.
Und auch vom Handel bekommen die Produzenten kein Geld mehr, da dessen Shops entweder geschlossen oder zerstört sind. Ein Zustand, der ihrer Meinung nach auch noch lange anhalten wird. Außerdem wurde mit Beginn des Krieges ein komplettes Alkoholverkaufsverbot verhängt, so dass es faktisch auch keine Kunden mehr für Wein gibt. Zum partiellen Auslaufen des verhängten Alkoholverkaufsverbots in Gebieten ohne Kampfhandlungen Anfang April bezog Anna Gorkun aber klar Stellung: „Egal welche negative Folgen das ökonomisch für mein Unternehmen oder die Weinwirtschaft hat: Als Bürgerin der Ukraine graust es mir vor der Vorstellung, dass Waffen und Alkohol an einem Ort zusammenkommen. Deshalb appelliere ich an alle Hersteller von alkoholischen Getränken, auf keinen Fall in Regionen zu liefern, in denen Kämpfe stattfinden oder in nächster Zeit erwartetwerden.“ Und wer weiß, dass auch in den westlichen Regionen der Ukraine immer wieder Raketenalarm herrscht fragt sich, auf welche Gebiete der Ukraine der Begriff der „friedlichen Regionen“ überhaupt einigermaßen stabil passt.
Dr. Sebastian Potyka, Vorstandssprecher der Pieroth Wein AG führte sehr anschaulich aus, wie die Pieroth-Unternehmensgruppe auf den Angriffskrieg reagierte. Nachdem sein Unternehmen das Russlandvertriebsgeschäft nach der Annexion der Krim im Jahre 2014 schon deutlich reduziert hatte, wurde von Pieroth sofort am Tag des Einmarschs in die Ukraine entschieden, die Beteiligung an der russischen Vertriebsfirma unverzüglich zurückzugeben und jede Geschäftstätigkeit in Russland einzustellen. Pieroth hatte sich damit freiwillig schon vor jeglicher Diskussion über politische Sanktionen positioniert, weil man mit seinem Namen nicht dafür stehen wollte, weiter Produkte in Russland zu vermarkten. Dies passe nicht zur Compliance und Firmengeschichte. Dafür will Pieroth aber auf Grund der Anregungen der ukrainischen Referenten nun prüfen, inwieweit sich die Geschäftstätigkeiten seines Weinkaufs in Ungarn auch auf die Ukraine ausdehnen lassen.
Monika Reule zeigte aus Sicht des Deutschen Weininstituts (DWI) die statistischen Entwicklungen des Exports deutscher Weine nach Russland auf, welcher bis zum Jahr 2014 stark anstieg, nach der Annexion der Krim aber einbrach. Als Reaktion auf den russischen Angriff auf die Ukraine hat aber auch das DWI, dessen satzungsgemäße Aufgabe es ist, als zentrale Marketingorganisation für deutsche Weine den Absatz im In- und Ausland zu fördern, Ende Februar seine Russlandaktivitäten unverzüglich auf Eis gelegt.
Nicht eingestellt, sondern weiter intensiviert wurde dagegen auf deutscher Seite der Austausch zwischen den deutschen und ukrainischen Hochschulen. Dies machte der Impuls von Sonja Thielemann vom International Office der Hochschule Geisenheim deutlich. Seit 2019 findet im Rahmen von Erasmusprogrammen der Austausch von Studierenden zwischen Geisenheim und den sechs ukrainischen Partneruniversitäten, insbesondere in Kiew, Lviv und Odessa statt. Aktuell sind neun ukrainische Studierende im Rahmen der Programme in Geisenheim.
Im Impuls der ukrainischen Hochschulen wurde die Situation der Lehre und Forschung mit der Situation auf der sinkenden Titanic verglichen, bei der die Band bis zuletzt gespielt hatte, denn die ukrainischen Hochschulen versuchen gerade mit aller Kraft, ihre Lehre online fortzusetzen, immer wieder unterbrochen durch Raketenalarme.
Der BDO hatte bei diesem Web-Seminar ganz bewusst den schwierigen Spagat gewagt, sowohl die Auswirkungen auf die ukrainische als auch die deutsche Weinwirtschaft darzustellen. Die Dankesworte der ukrainischen Referenten für die klaren Reaktionen der Unternehmen bzw. Institutionen der deutschen Referenten zeigten, dass dieser Spagat mehr als gelungen ist. „Im Namen der ukrainischen Weinwirtschaft bedanken wir uns von ganzem Herzen und begrüßen diese an den Tag gelegte Haltung, insbesondere da auch wir wissen, dass dies kein Krieg der Menschen in Russland ist“ so beispielsweise Anna Gorkun zur sofortigen Einstellung der Geschäftstätigkeit in Russland von vielen deutschen Unternehmen und Institutionen.
Auf die Möglichkeiten der Unterstützung angesprochen formulierte die ukrainische Seite sehr klar: „Investing into people!“. Wer den ukrainischen Kollegen also helfen möchte, möge bitte bei sich vor Ort Kriegsflüchtlingen, die aus der ukrainischen Weinwirtschaft stammen, theoretische und praktische Fähigkeiten vermitteln, so dass diese beim Wiederaufbau genutzt werden können. Hier sind die Hochschulen, Fachschulen sowie die Unternehmen gefragt. Und für die Wahrnehmung des ukrainischen Weinbaus in Deutschland freuen sich die Kollegen über z. B. öffentliche Themenweinproben mit ukrainischen und deutschen Weinen. Darüber hinaus hat der BDO mit dem zuständigen Bundesministerium Kontakt aufgenommen, um das Herausbringen von ukrainischen Weinen z. B. für eine Flaschenfüllung überhaupt zu ermöglichen, da das einzige für EU-Exportzertifikate zugelassene Weinlabor in Kiew zerstört wurde.
Ein Beitrag von Prof. Dr. Erik Schweickert