Oenologen sind bekanntermaßen die Weinmacher. Dabei spielt das Wort „Machen“ eine wichtige Rolle, also der menschliche Einfluss bei der Herstellung eines Weins. Obwohl alle wissen, dass die Qualität eines Weins im Weinberg entsteht bzw. tatsächlich dort „gemacht“ wird, ist dennoch der anthropogene Einfluss von enormer Wichtigkeit. Denn es geht darum, diese Qualität im Keller und bis zum Konsumenten zu erhalten bzw. auszudifferenzieren. Dazu stehen im Rahmen der guten fachlichen Praxis eine Vielzahl von physikalischen, biologischen und chemischen Hilfsmitteln zur Verfügung. Und jeder Oenologe spielt auf dieser Klaviatur seine jeweiligen Weinkompositionen – die mal mehr, mal weniger modifizierende Oenologie. Wie der Wein jedoch tatsächlich in seiner „Ursprungsversion“ geschmeckt hätte, ist so gut wie keinem Konsumenten bekannt. Und genau deshalb hat sich der Bund Deutscher Oenologen (BDO) mit der diesjährigen Tagung entschieden, neue bzw. alte Pfade zu betreten. Unter dem Motto „Winemaking abseits des Mainstreams: Natural Wines, Amphorenwein und andere traditionelle oenologische Verfahren“ veranstaltete der BDO am 24. April 2018 an der Hochschule Geisenheim seine 61. BDO-Fachtagung.
Nach der Begrüßung durch den Präsidenten des BDO, Prof. Dr. Erik Schweickert, ging Prof. Dr. David Chichua von der Agraruniversität Tiflis auf die oenologische Praxis der Amphorenweine ein und erläuterte die Vor- und Nachteile von Qvevriweinen. „Qvevri ist eine eiförmiges 50 bis 4.000 Liter großes, in die Erde eingelassenes Gebinde, wobei die optimale Größe bei 1.000 bis 1.500 Liter liegt. Es wird aus einer Mischung aus Ton, Lehm und Sand mit der Hand geformt, luftgetrocknet, bei ca. 1.100°C gebrannt und meistens mit Bienenwachs ausgekleidet. Meistens wird mit dem Begriff Qvevriwein ein maischevergorener Weißwein gemeint. Doch in Georgien gibt es auch andere Weintypen, so werden auch Rotweine in Qvevri ausgebaut, aber gleich nach der Gärung ausgepresst. Oft werden Qvevriweine biologisch produziert, aber es sind ebenso konventionelle Produzenten, die Reinzuchthefen einsetzen, dabei“, so Chichua. Auch verwies er auf die Besonderheit, dass die Traditon seit 8.000 Jahren noch immer praktiziert wird und machte deutlich, dass die wichtigste Voraussetzung für einen guten Qvevriwein absolut gesunde Trauben sind. „Qvevris, deren Kosten sich auf ungefähr 50 Eurocent pro Liter Fassungsvermögen belaufen, können, wenn sie gut gemacht sind 100 Jahre und mehr halten“, ergänzt Chichua. Auch die durch den BDO mitorganisierte, im Sommer geplante Kaukasus-Exkursion wird sich mit dem Schwerpunkt Amphorenwein befassen.
Prof. Dr. Otmar Löhnertz, der sich sichtlich über den vollen Hörsaal freute, berichtete unter anderem über das geplante Bauvorhaben eines neuen Hörsaalkomplexes sowie über mögliche Weiterbildungsprogramme in Kooperation mit dem BDO.
Dr. Oliver Schmidt von der Staatlichen Lehr- und Versuchsanstalt für Wein- und Obstbau, Weinsberg, betrachtete die sogenannten Natural Wines genauer und ordnete sie als Weine ein, die möglichst wenig bis keinen Input durch den Menschen erlangen. Und wer fragt Natural Wines nach? „Es sind Experten, die sich für nicht alltägliche Weine und ganz sicher für ihre intrinsische Botschaft interessieren. Natural Wines sind für sie biologisch oder sogar biologisch-dynamisch erzeugte Wein-Botschafter. Diese Wein-Experten haben den Wunsch einen Wein zu kaufen, der NUR aus Trauben gemacht ist“, sagt Schmidt. Und wer erzeugt Natural Wines? „Es ist die Herausforderung für (Bio)-Winzer. Sie wollen so clever und perfekt in Weinberg und Keller handeln, dass der Wein mit einfachen, traditionellen Techniken ohne Zusätze, ohne Filtration und oft ohne SO2-(Zusatz) lecker, stabil und attraktiv für Kunden ist“, ergänzt der Experte.
Aus Sicht der Weinkontrolle beleuchtete Carsten Wipfler vom Landesuntersuchungsamt Rheinland-Pfalz, Institut für Lebensmittelchemie Speyer die Natural Wines und stellte fest, dass das größte Problem in der Kennzeichnung von Natural Wines schon im Namen an sich liegt, denn seit dem Weingesetz von 1971 ist die Verwendung des Begriffes „Natur“ in der Etikettierung, wie in der Werbung, verboten. Wipfler betonte, dass sich Natural Wines als Qualitätsweine oftmals schwertun, da als Vorbedingung für die Erteilung der amtlichen Prüfungsnummer das Kriterium der Klarheit erfüllt sein muss. Sofern keine ausgeprägten Weinfehler erkennbar sind, werden die Weine jedoch als Landwein verkehrsfähig von der Weinkontrolle beurteilt. „In der Naturwein-Szene ist derzeit viel Bewegung und Innovationskraft. Sollten sich die Erzeugnisse aus ihrem Nischendasein herausentwickeln wären sicher eigene produktspezifische Regelungen von Vorteil. Mit den allgemeinen EU-Vorgaben und dem Verbot des „Natur“-Begriffes wird unser Bezeichnungsrecht diesen Erzeugnissen nicht gerecht. Ein großes Manko ist auch das Verbot engerer geografischer Angaben. Eventuell könnte hier die Beantragung einer eigenen geschützten Ursprungsbezeichnung für Natural Wine ein Lösungsansatz sein“, so Wipfler, der auch den Tagungsgästen nochmal klarmachte, dass Orange Wine von der Weinart her ein „Weißwein“ ist.
Natural Wines aus Sicht des Weinmarktes nahm Sascha Speicher, Chefredakteur meiningers sommelier des Meiningers Verlags unter die Lupe. Er verdeutlichte, dass aus der Perspektive des Konsumenten Natural Wines ebenso eine Ausdrucksform einer Lebensphilosophie wie vegane Ernährung seien und dass in der Hipster-Szene kein Weg daran vorbeiführt. „Wer in angesagten Szene-Weinläden und –Weinbars sowie –Restaurants in Großstädten wie New York, Berlin und Tokyo punkten möchte, hat ohne eine gewisse Nähe zur Welt der Naturweine keine Chance“, so Speicher. Seiner Meinung nach gehören Orange Wines eigentlich als zusätzliche Weinart mitaufgenommen. Ebenso vertritt er die Meinung, dass als junger Weinbaubetrieb der Weg ins preisliche Spitzensegment derzeit nur über die erweiterte Natural-Schiene führt und wer eine „klassische Weinstilistik“ bevorzugt, müsste wenigstens nachweislich biodynamisch arbeiten.
Intensiv und kontrovers wurde im Rahmen der etwas krass zugespitzten, aber nicht ganz ernst gemeinten Podiumsdiskussion mit der Formulierung „Wine Unplugged – Differenzierung oder nur etwas für Spinner“ diskutiert. So vertrat zum Beispiel Prof. Dr. Monika Christmann die Meinung, dass Natural Wines eine Unverschämtheit sei, weil dies ja bedeute, dass alle anderen Weine keine Naturprodukte seien. Die Professorin für Oenologie an der Hochschule Geisenheim und Präsidentin der Internationalen Organisation für Rebe und Wein (OIV) machte deutlich, dass es sich bei Natural Wines um ein Nischenprodukt handelt und erklärte, dass es nicht mehr allzu lange dauern kann, bis eine gesetzliche Regelung zu Maische vergorenen Weißweinen kommen wird. Wolfgang W. Schaefer sah es positiv und merkte an, dass wenn man sieht, dass in den klassischen Weinmärkten der Absatz eher sinkt, es durch die Natural Wines einen neuen Markt gibt und es eben in sei, Orange Wines zu trinken, was gut für den Markt sei. Dirk Würtz, Betriebsleiter des VDP-Weinguts Balthasar Ress, der sich seit mehr als 15 Jahren mit dem Thema Orange und Naturals beschäftigt und als einer der Pioniere in Deutschland für diese Weine gilt, kommentierte: „Wer glaubt, es ist ein Trend, der verschwindet, der irrt sich gewaltig. Diese Bewegung bringt Inspiration!“. Christmann argumentierte, dass man sich überlegen sollte, mit was man sich international abheben kann und verstärkt auf Regionalität und Typizität setzen sollte. „Amphorenweine gehören halt typischerweise eher in die Richtung Georgien“, so die OIV-Präsidentin.
Final wurde das Thema unter der durch Johannes Burkert und Jo Wessels moderierten Weinverkostung mit dem Motto „Ein Selbstversuch zwischen Euphorie und Überwindung“ entkorkt und der Frage auf den Grund gegangen, inwieweit sich Wine Unplugged zur Differenzierung oder zum Kundenvergraulen eignet.
Abgerundet wurde die diesjährige Fachtagung durch einen Besuch des Hattenheimer Weinguts Balthasar Ress mit Besichtigung der WINE Bank und anschließender Abendveranstaltung mit moderierter Weinprobe durch Christian Ress.
Es war eine erkenntnisreiche Tagung außerhalb des oenologischen Maßstabes, in der das Thema einmal grundsätzlich und ohne ideologische Scheuklappen, aber auch ohne ideologische Verblendung im oenologischen Kontext erarbeitet wurde. Denn auch wenn BDO noch lange nicht für „Bist Du Orange“ steht, haben Orange- und Amphorenweine sowie Natural Wines in der Weinwelt nicht zu Unrecht in der Nische eine gewisse Bedeutung. Und da der Konsument immer etwas Neues erfahren möchte, gibt es sicherlich einen Markt dafür – einen Blick in uralte Traditionen, zu ursprünglicheren Produkten und auch eben zu anderen Geschmackserlebnissen.
Tina Kissinger