Transformationsprozesse in Reallaboren voranzutreiben gilt als neuer Ansatz einer Forschung auf Augenhöhe gemeinsam von Politik, Praxis, Zivilgesellschaft und Wissenschaft. Das Grundprinzip: Forschungsfragen und mögliche Lösungen werden in einem gemeinschaftlichen Prozess durch Akteurinnen und Akteure sowie Forschenden erarbeitet, und Innovationen ebenso gemeinsam entwickelt und evaluiert. So wachsen Lernumgebungen für die experimentelle Innovationsforschung in Landschaften, gleichermaßen geprägt durch wissenschaftliche und viele nicht-wissenschaftliche Handelnde. Landwirtschaftliche Reallabore, die national und europaweit derzeit stark im Kommen sind, sind langfristig angelegt und werden maßgeblich von nicht-wissenschaftlichen Akteurinnen und Akteuren gelenkt.
Das ZALF hat zusammen mit den drei hessischen Agrar-Universitäten in Kassel, Gießen und Geisenheim ein Konzept zur Reallaborarbeit in einem geplanten brandenburgisch-hessischen Innovationszentrum für Agrarsystemtransformation (IAT) entwickelt, welches derzeit durch den Wissenschaftsrat evaluiert wird. Dieses stellte Professor Dr. Bettina Matzdorf vor, Co-Leiterin des Programmbereichs Landnutzung und Governance am ZALF in Müncheberg. Dr. Oskar Marg vom Institut für sozial-ökologische Forschung (ISOE) in Frankfurt fasste seine Erfahrungen aus der Begleitforschung an Reallaboren zusammen. Es folgte ein World-Café mit sechs verschiedenen Thementischen:
- Partizipative Ansätze in der Agrar- und Ernährungsforschung: Als Erfolgsfaktoren identifizierten die Teilnehmenden unter anderem eine vertrauensvolle Zusammenarbeit, gleichberechtigt auf Augenhöhe, die Honorierung des Arbeitsaufwands der Beteiligten aus der landwirtschaftlichen Praxis, eine gute Aufbereitung von Ergebnissen und eine unabhängige Koordination.
- Rollenverteilung im Reallabor: Die Arbeit sollte nicht von wissenschaftlicher Seite geleitet werden. Eine externe, unabhängige Koordination und Moderationsrolle und der Verzicht auf eine hierarchische Struktur sind wichtig, klare Spielregeln hilfreich.
- Reallabor-Arbeit in Studium und wissenschaftlicher Karriere: Im Studium vermittelt das Lernen in Reallaboren wertvolle Erfahrungen, die in praxisorientierten Forschungsberufen hilfreich und begehrt sein können. Für klassische Forschungsberufe jedoch, in denen Publikationen wichtige Erfolgskriterien sind, ist die relativ aufwändige Arbeit mit Akteurinnen und Akteuren noch ein Hindernis. Neue Bewertungskriterien müssten entwickelt werden, die Reallaborarbeit vor allem bei Nachwuchsforschenden attraktiver machen.
- Methoden und Konzepte für praxisrelevante und wissenschaftlich bedeutsame Forschung: Ein integrativer Systemblick kann die Verknüpfung zwischen Agrar- und Ernährungssystemen in einem vorwettbewerblichen Experimentierraum und jenseits etablierter Lösungen ermöglichen. Zentral ist ein professionelles Wissensmanagement innerhalb der Reallabore und nach außen.
- Motivation der Akteur:innen in Praxis, Gesellschaft, Politik und Wissenschaft: Die Ansprache gelingt über Multiplikatoren und Netzwerke, durch die Suche nach blinden Flecken und ein für möglichst Alle relevantes Thema. Bei der Stange bleiben diese, indem ein individueller Nutzen geschaffen wird.
- Praxisrelevanz für eine nachhaltige Transformation: Es braucht beide, die Grundlagenforschung und die Praxisforschung. Ihre Interessen können unterschiedlich sein, doch die Zusammenarbeit gelingt, wenn von Anfang an ein gemeinsames Grundverständnis geschaffen wird.
Moderator Prof. Dr. Eckhard Jedicke, Leiter des Kompetenzzentrums Kulturlandschaft der Hochschule Geisenheim, bemerkte das hohe Bedürfnis nach Diskussion und kreativem Austausch: Die Arbeit in Reallaboren oder Living Labs werde in der Agrar- und Ernährungswirtschaft als ein wertvoller Weg gesehen, der Landnutzungspraxis und Akteur:innen der Wertschöpfungsketten, Sozial- und Naturwissenschaften, Politik und Gesellschaft auf einen gemeinsamen Weg zur nachhaltigen Transformation bringe. Aus der Konferenz soll ein Themenpapier entstehen, auf dessen Basis der Austausch fortgeführt werden soll