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Ohne Abitur zum Studienabschluss: Absolvent Carsten Ritzheim im Interview

Carsten Ritzheim © privat

Carsten Ritzheim, Absolvent des Bachelor-Studiengangs Weinbau und Oenologie an der Hochschule Geisenheim, berichtet im Interview vom Modellversuch „Zugang beruflich Qualifizierter zu den Hochschulen im Lande Hessen“. Dank dieses Modellversuchs können junge Menschen mit Mittlerer Reife und 3-jähriger abgeschlossener Berufsausbildung (Note mindestens 2,5) an den Hochschulen und Universitäten in Hessen ganz regulär ein Studium aufnehmen. Ritzheim erzählt, mit welchen Herausforderungen das Modell für ihn verbunden war und wie er von dieser Möglichkeit profitiert hat.

Was waren Ihre Beweggründe, sich nach der Ausbildung für ein Studium zu entscheiden?

Seit Beginn der Ausbildung war mir klar, dass ich mich nach Abschluss der Ausbildung noch weiterbilden will. Mein Plan war es eigentlich, den Wirtschafter und danach den Techniker oder Meister zu machen. Dieser Plan wurde aber nach und nach in meinem 3. Ausbildungsjahr umgeworfen, da mein Bruder in diesem Jahr angefangen hatte, Weinbau und Oenologie in Geisenheim zu studieren und mir erzählte, wie großartig das Studium und das Studentenleben seien. Am Anfang war ich noch sehr unsicher, da ich nicht wusste, ob ein Studium für mich das Richtige wäre und ob ich da überhaupt durchkomme. Allerdings hat mir mein Bruder immer wieder Mut zugesprochen und nach und nach konnte ich mich schließlich mit dem Gedanken ans Studieren anfreunden. Somit war mein Bruder der ausschlaggebendste Grund für meine Entscheidung.

Wie sind Sie auf Geisenheim und die Möglichkeit aufmerksam geworden, dort mit Realschulabschluss und Ausbildung zu studieren?

Bis Mitte meines zweiten Ausbildungsjahres wusste ich noch nicht einmal, dass die Hochschule Geisenheim existiert. Erst als mein Bruder dort angefangen hat zu studieren, fing ich langsam an mich mit dem Thema zu beschäftigen. Zudem bekamen wir damals im 3. Ausbildungsjahr in der Berufsschule einen Nachmittag frei, um den Studieninfotag der Hochschule Geisenheim zu besuchen. Dort konnte ich mich dann sehr gut über meine Chancen und Möglichkeiten informieren.

Wie haben Sie vom Modell „Studieren ohne Abitur“ profitiert?

Naja, das liegt doch wohl auf der Hand, oder? Ich durfte das Studium anfangen, ohne vorher eine Hochschulreife absolvieren zu müssen. Ohne diesen Modellversuch hätte ich nicht studiert beziehungsweise studieren können und somit sähe mein heutiger Lebensweg deutlich anders aus. Während meiner Studienzeit nahm ich an einer Südafrika-Exkursion teil, absolvierte ein dreimonatiges Praktikum in einem Weingut in Kalifornien, lernte viele neue und interessante Menschen kennen und vor allem konnte ich mein Wissen über Wein und die Weinwelt deutlich ausbauen und erweitern. All das hätte ich verpasst, hätte es den Modellversuch nicht gegeben.

Gibt es Unterschiede im Vergleich zu Studierenden, die vorher ein Abitur absolviert haben und wenn ja welche? Was hat Ihnen das Leben im Studienverlauf leichtgemacht? Gab es Herausforderungen?

Unterschiede zwischen mir und den Studierenden die vorher ein Abitur absolviert haben? Na klar gibt es die. Was mir relativ schnell auffiel: dass mein Allgemeinwissen nicht ganz so breit gefächert war, wie das meiner Kommilitonen. Weiterhin habe ich in der Physik-Vorlesung deutlich gemerkt, dass mir die Oberstufe fehlt, da Einheiten, Einheiten umrechnen und generell das etwas höhere physikalische Verständnis gefehlt haben. Da musste ich viel Arbeit reinstecken, um mein Defizit aufzuholen.

Wo ich noch einen großen Unterschied gemerkt habe: zwischen mir und Mitstudierenden, die zwar ein Abitur, aber keine Ausbildung absolviert haben. Da würde ich sagen war ich im Vorteil, da ich mich schon drei Jahre lang mit dem Thema Weinbau theoretisch sowie praktisch auseinandersetzen konnte. Generell fielen mir die praktisch angehauchten Vorlesungen sowie die praktischen Projekte leichter. Das Vorwissen aus der Ausbildung hat mir meinen Studienverlauf schon etwas vereinfacht. Natürlich gab es auch Herausforderungen, die ich meistern musste. Am Anfang des Studiums war es für mich schwer, erstmal einen Überblick zu bekommen, wie das Studium überhaupt abläuft, welche Wahl- und Pflichtmodule man wählen kann oder muss. Und ehrlich gesagt wusste ich am Anfang noch nicht einmal, dass man Klausuren einfach so in das nächste Semester schieben kann oder was ein Kolloquium überhaupt ist. Ich habe mich einfach ohne viel vorher zu recherchieren ins Studienleben geschmissen und es hat funktioniert.

Welche Lehrveranstaltungen an der Hochschule Geisenheim haben Ihnen am besten gefallen?

Die erste Lehrveranstaltung, die mir sehr gut gefallen hat, war die allgemeine und anorganische Chemie. Obwohl ich in der Realschule kein besonderes oder vertiefendes Wissen über Chemie erlernt habe, kam ich in den Vorlesungen von Prof. Dr. Mirjam Hey sehr gut mit und habe meistens direkt verstanden, worüber sie sprach. Meine nächste Lieblingslehrveranstaltung war eindeutig Weinbautechnik. Ich war schon immer der eher praktisch orientierte Typ. Die Vorlesung bestand hauptsächlich aus praktischen Vorführungen verschiedener weinbaulicher Geräte in der Maschinenhalle der Hochschule Geisenheim. Zudem wurden ab und zu Vorlesungen im Hörsaal gehalten, um das theoretische Wissen über die verschiedenen Maschinen zu vertiefen. Die letzte Lieblingsveranstaltung von mir ist das Sektprojekt der Hochschule. Bei diesem praktischen Projekt durfte man aus seinem eigenen Grundwein einen Sekt herstellen. Dabei erlebte und erlernte man die Schritte der Sektherstellung in kleinen Gruppen mit bis zu 7 Personen. Den fertigen Sekt durfte man im Anschluss mit nach Hause nehmen.

Was bedeutet es Ihnen, in Geisenheim zu studieren? An welche Teile des Studiums und Studierendenlebens erinnern Sie sich am liebsten?

Bevor ich an der Hochschule Geisenheim angefangen habe zu studieren, hätte ich niemals gedacht, dass genau dieses Studium an dieser Hochschule mein Leben in dieser guten Weise verändert. Während der Ausbildung war mein Ziel eigentlich, relativ schnell zuhause anzufangen, um endlich im zukünftigen eigenen Weingut zu arbeiten und um dort Veränderungen zu schaffen. Da ich durch die Hochschule ein dreimonatiges Praktikum in Kalifornien absolvieren konnte sowie die Weinszene in Südafrika ein bisschen besser kennenlernen durfte, hat mir das die Augen geöffnet und zum ersten Mal wurde mir wirklich bewusst, dass in der ganzen Welt Wein angebaut wird. Weiterhin bin ich neugierig geworden, wie andere Weingüter arbeiten und ihre Weine herstellen. Aus diesem Grund habe ich direkt nach dem Studium für rund zwei Monate in einem Weingut in Saint-Émilion, Bordeaux, Frankreich gearbeitet. Generell kann ich sagen, dass mir das Studieren in Geisenheim Spaß gemacht hat. Ich hatte die Möglichkeit, viele neue Leute kennen zu lernen, interessante Gespräche zu führen und mich mit meinen Kommilitonen auf Augenhöhe über aktuelle Themen aus der Weinwelt zu unterhalten und darüber zu diskutieren. Zugegeben ist das Studentenleben in Geisenheim meine schönste Erinnerung während meines Studiums. Wenn der Lehrende an einem Mittwochnachmittag die Vorlesung beendete und man genau wusste, dass draußen schon die Kommilitonen am Fass mit einem Bier in der einen Hand und einer Bratwurst in der anderen warteten, um den Feierabend einzuleiten, um dann bis spät in die Nacht zu feiern. Zur Erklärung: Das Fass ist ein kleiner Ausschank auf dem Uni-Gelände, organisiert vom Allgemeinen Studierendenausschuss (AStA), bei dem man zu einem guten Preis-Leistungsverhältnis Bier, Wein und Gegrilltes kaufen konnte.

Zu wem passt das Modell „Studieren ohne Abitur“ aus Ihrer Sicht?

Es passt für alle diejenigen, die offen für Neues sind und während ihrer Ausbildung merken, dass ihr Wissensdurst während der Ausbildung nicht vollständig gestillt werden kann. Allerdings sollte man schon ein wenig Ehrgeiz und Engagement mitbringen, um sich den benötigten Lernstoff für die Klausuren selber rauszusuchen und beizubringen.

Würden Sie anderen Azubis mit Realschulabschluss „Studieren ohne Abitur“ empfehlen?

Auf jeden Fall würde ich anderen Azubis den Modellversuch empfehlen. Am Anfang war ich noch relativ unsicher, ob es das Richtige für mich ist. Aber im Nachhinein kann ich zu einhundert Prozent sagen, dass es die beste Entscheidung war, die ich je hätte treffen können. Für alle da draußen, die in einer ähnlichen Situation stecken, wie ich damals, kann ich jetzt nur sagen: Studieren in Geisenheim sollte man nicht verpassen. Also traut euch, Ihr schafft das auch!

Kategorien: STUDIUM, Studieren ohne Abitur, Weinbau und Oenologie (B.Sc.), Nachrichten