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Erfahrungsbericht Auslandssemester Südafrika – Teil 2: Alltag in Stellenbosch

Ein Rugby Spiel der Hochschul Mannschaft im eigenen Stadion
Ein Rugby Spiel der Hochschul Mannschaft im eigenen Stadion

Im vorigen Artikel berichtete ich über meine Ankunft in Stellenbosch, die Universität und den südafrikanischen Weinbau in der Region. In dieser Ausgabe möchte ich Ihnen weitere Eindrücke und Erlebnisse schildern.

Im vorigen Artikel berichtete ich über meine Ankunft in Stellenbosch, die Universität und den südafrikanischen Weinbau in der Region. In dieser Ausgabe möchte ich Ihnen weitere Eindrücke und Erlebnisse schildern.

Die ersten Wochen in Stellenbosch sind fordernd aber auch schön. Fordernd, da ich mich trotz viereinhalb jähriger Studienerfahrung wieder als „Ersti“ fühle. Das heißt: Räumlichkeiten suchen, sich mit der Studenten-IT vertraut machen, Einkaufsmöglichkeiten auskundschaften (wo bekomme ich richtiges Brot her?), seine Kommilitonen kennen lernen. Auch die Tatsache, dass der Lehrstoff nun auf Englisch ist und mir jegliche Vorkenntnisse zum Weinbau fehlen, lassen den Adrenalinspiegel manchmal leicht steigen. Doch getrieben von dem unbequemen Gefühl, unwissend zu sein, eigne ich mir Fachtermini und Kenntnisse über phänologische Stadien und Anatomie der Weinrebe (Vitis Vinifera) artig an.

Viel angenehmer ist das Entdecken der vielen Angebote Stellenboschs: Mein Mitbewohner Kai und ich besuchen ein Fitnessstudio, absolvieren einen Tauchkurs, besichtigen Weingüter, lernen Südafrikaner kennen (tatsächlich überwiegend junge Damen – unsere europäische Herkunft scheint uns interessant zu machen) und besuchen die wöchentlichen Rugby-Spiele der Uni-Mannschaft. Rugby ist Nationalsport in Südafrika und seine Popularität vergleichbar mit der von Fußball in Deutschland. Unter den Studenten ist der „Varsity Cup“, ein Turnier unter den Universitäts-Mannschaften, somit auch von großer Wichtigkeit und so füllt sich das 16.000 Menschen fassende Stadion montags nachmittags fast vollständig mit jungen Menschen, um den Sport bei Bier, Biltong (Trockenfleisch) und musikalischer Dauerbeschallung vom Feinsten zu verfolgen. Nicht nur die warme Luft und die wunderschöne Aussicht auf das von der untergehenden Sonne beleuchtete Bergpanorama, sondern auch die Stimmung ist dabei hervorragend: Das Spiel wird zwar selbst nicht kommentiert, dafür spornt uns ein junger Mann in buntem Frack vom Spielfeldrand ordentlich an, das Team der Uni mit Schlachtrufen wie „Here weg go, Maties, here weg go!“ zu motivieren. „Maties“ – wahrscheinlich abgeleitet von engl. „mate“ = Kumpel oder Kollege – ist der Name der Mannschaft. Die Stimmung ist fröhlich und ausgelassen: Laola-Wellen gehen um, die Menge schwingt „Maties“-Fähnchen zu dem Lied „wavin‘ flag“,welches man noch von der Fußball WM 2010 kennt, und immer dann wenn die Maties punkten wird das Lied „Dis altyd lente“ (es ist immer Frühling) als eine Art Hymne angespielt und von der Menge gesungen. Es ist ein Lied auf Afrikaans und fest mit Stellenbosch verbunden, da es das dortige, unbeschwerte Studentenleben besingt. Es macht mir jedes Mal wieder riesig Spaß, dabei zu sein und die Freude und den Stolz der Studenten auf den Sport, die eigene Mannschaft und Stellenbosch zu spüren.

Mit der sich einstellenden Routine im Uni-Alltag schärft sich der Blick für Details des studentischen Lebens und der südafrikanischen Gesellschaft. Ersteres ist in Deutschland, wie auch in Stellenbosch, in verschiedene Subkulturen unterteilt. Manche Studierenden trinken und feiern häufiger als andere, einige beschäftigen sich in der Freizeit mehr mit Vereinssport oder der Kirche. Dabei ist zu erwähnen, dass der Uni-Sport in Stellenbosch sehr ernst genommen und so auch die Leistungsanforderungen an die Sportler sehr hoch ist. Die religiösen Gemeinschaften sind ebenfalls vielfältig, es gibt allein unter den Christen viele kleine, teilweise sehr junge Kirchen, welche sich selbst organisieren. Erst ganz am Ende meiner Zeit in Stellenbosch lerne ich eine lutherisch-deutsche Gemeinde kennen, da sie das „Lutherfest“ feiern und südafrikanische Freunde von mir darauf neugierig waren. So konnte ich ihnen eine deutsche Gemeinde zeigen und sogar Thüringer-Rostbratwürstchen, Kartoffelsalat, Sauerkraut und deutsches Bier mit ihnen verkosten. Ein komisches Gefühl war dies trotzdem: 9.500 Kilometer von Deutschland entfernt wird schlagartig alles deutsch: deutsches Essen, deutsche Sprache, auch das Interieur und der Altersdurchschnitt ähnelten meiner heimischen Gemeinde sehr.

Andere Kirchen, welche ich aus Neugier vereinzelt mit Freunden besuchte, und ihre Art einen Gottesdienst zu zelebrieren, waren gänzlich anders als bekannt, teilweise gewöhnungsbedürftig, aber insgesamt an Erfahrung bereichernd.
An Ausgehmöglichkeiten mangelt es in Stellenbosch wahrlich nicht. Unzählige Kneipen, Bars und ein paar Clubs laden zum gemeinsamen Essen, Trinken, Quatschen und Feiern ein. Dabei ist das Preis-Leistungs-Verhältnis sehr gut: Oft gehen gerade die ausländischen Studierenden auswärts essen, da es im Vergleich zum Einkauf im Supermarkt und eigener Zubereitung günstiger ist. Die Clubs machen, anders als ich es gewohnt bin, bereits um ein Uhr morgens zu. Somit muss man schon sehr „früh“ gegen 22 oder 23 Uhr hin, damit sich der Spaß auch lohnt – für uns junge Europäer durchaus eine Verhaltensumstellung. Der Vorteil liegt jedoch auf der Hand: Man ist genötigt, früh schlafen zu gehen und kann am bereits angebrochenen Tag zumindest die zweite Vorlesung besuchen.

Die südafrikanische Gesellschaft ist, um es vorwegzunehmen, sehr heterogen und gerade die jüngere Generation befindet sich in einer interessanten Phase des Umbruchs, da sie nach Ende der Apartheid geboren wurde. Dennoch bekommen meine Kommilitonen und Freunde manche Nachwehen dieser Ära zu spüren, da die Gesellschaft scheinbar nur schleppend die Vergangenheit aufarbeitet und sich politische Interessengruppen gerne alte Ressentiments zu Nutze machen. Obwohl ich am Versöhnungs- und Entwicklungsstand der ehemals separierten Gesellschaft interessiert bin, gelingt es mir bis zum Ende meines Aufenthaltes nicht, die Komplexität der diversen geschichtlichen Begebenheiten und Einflüsse, sowie die Ansichten und Interessen der vielen kulturellen Gruppen anzuhören und zu verstehen. Ein Grund dafür ist sicherlich die Heterogenität der Gesellschaft, da jede Volksgruppe andere Sichtweisen auf die Geschichte und auf die aktuelle Situation im Land hat.

Ein weiterer Grund ist, dass sich meine Freunde nur unvollständig mit der jüngeren Vergangenheit auseinandergesetzt haben und mir nur wenig differenziertes Hintergrundwissen zur Apartheitsthematik geben können. Dies mag, so habe ich den Eindruck, an einer schlechten Aufarbeitung in der Schule und an Versäumnissen der elterlichen Aufklärung liegen. Möglicherweise ist auch einfach Scham über die Taten der britisch/burischen Vorfahren der Grund, weswegen nicht viel über Apartheit gesprochen oder nachgedacht wird. Der Eindruck einer Verdrängung kommt manchmal auf. Ich komme natürlich nicht drum herum, den Holocaust, den Kalten Krieg oder, für die besonders gut informierten Südafrikaner, die „refugee crisis“ zu erklären und verspüre einen gewissen Dank für den Fokus des Geschichtsunterrichtes auf die ersteren Themen.

Obwohl Südafrika ein vergleichsweise gut entwickeltes Land des Subsahara-Afrikas ist und ich manchmal „vergesse“, dass ich in Afrika lebe, fallen die gewaltigen sozialen Unterschiede auf, sobald man Stellenbosch verlässt. Allein das Vorhandensein von Slums, in denen Menschen ohne häusliche Trinkwasserversorgung oder eine Kanalisation in Blechhütten leben, zeigt mir dann doch sehr drastisch, dass ich mich in einem anderen System, einer anderen Welt befinde. Bei einer Fahrt zum Bade- und Surf-Ort Muizenberg zu Beginn des Semesters blicke ich auf das riesige Township Khayelitsha, dessen so genannte informelle Siedlungen aus Blechhütten sich bis zum Horizont erstrecken – ein Anblick den ich sonst nur von Fotos aus den Medien kenne. Jetzt liegt der Slum mit all seinem Elend vor mir und doch wirkt das alles etwas unwirklich. Ich bin fast erschrocken darüber, dass mich die Konfrontation mit so viel Armut und Ungleichheit nicht schockiert und ich sie einfach so hinnehme und als gegeben akzeptiere. Meine Mitbewohner fühlen jedoch ähnlich und ich ahne, dass dies die Anpassung an das neue Lebensumfeld mit sich bringt.

Kategorien: STUDIUM, Getränketechnologie (M.Sc.), International, Weinbau und Oenologie (B.Sc.), International Office, Nachrichten

Bilderreihe

Blick vom Weingut Stark-Condé bei Stellenbosch mit dem Verkostungsbereich unter der Trauerweide in der Mitte
Blick vom Weingut Stark-Condé bei Stellenbosch mit dem Verkostungsbereich unter der Trauerweide in der Mitte
Blick über die Blechhütten (sheds) einer informellen Siedlung in einem Teil des Townships Khayelitsha nahe Kapstadt
Blick über die Blechhütten (sheds) einer informellen Siedlung in einem Teil des Townships Khayelitsha nahe Kapstadt