Klimaschutzministerin Priska Hinz eröffnet die Abschlussveranstaltung des kooperativen Forschungsprojekts FACE2FACE an der Hochschule Geisenheim
FACE2FACE ist ein Forschungsprojekt, das im Rahmen der hessischen Exzellenz-Initiative LOEWE gefördert wird. Dabei werden Pflanzen in Freiluftversuchen kontrolliert einem erhöhten Kohlendioxid (CO2) ausgesetzt. Dies soll den durch den Klimawandel bedingten steigenden CO2-Anteil simulieren. Weltweit existieren nur etwa 20 der sehr komplexen FACE-Anlagen. Dem hessischen FACE2FACE-Forschungsverbund mit insgesamt drei Anlagen in Gießen und Geisenheim kommt damit auch international eine herausragende Bedeutung zu. Besonders hervorzuheben ist die intensive Zusammenarbeit aller hessischen Akteure: die Justus-Liebig-Universität Gießen, die Hochschule Geisenheim University, die Phillips-Universität Marburg, das Max-Planck-Institut für terrestrische Mikrobiologie in Marburg und das Hessische Landesamt für Naturschutz, Umwelt und Geologie in Wiesbaden.
Innerhalb des LOEWE-Schwerpunkts FACE2FACE wurden seit Januar 2014 bis Herbst 2017 relevante hessische Agrarökosysteme (Gießen: Grünland; Geisenheim: Weinbau, Feldgemüsebau) im Freiland unter Bedingungen des Klimawandels untersucht. Besonderes Augenmerk galt dem Einfluss steigender atmosphärischer CO2-Konzentrationen, wie sie für die Mitte dieses Jahrhunderts erwartet werden. Seit Beginn der Industrialisierung ist die CO2-Konzentration in der Atmosphäre bereits von 280 ppm (ppm = parts per million, Teile pro Million) auf einen Wert von über 400 ppm angestiegen. Bis Mitte des Jahrhunderts werden es wahrscheinlich bereits 480 ppm sein. Selbst der heutige Wert von 400 ppm wurde in den letzten eine Million Jahren nie erreicht. Kohlendioxid ist aber nicht nur ein potentes Treibhausgas, sondern wird z. B. mittels Photosynthese von Pflanzen fixiert, dient Pflanzen somit zum Wachstum und hat vielfältige andere Auswirkungen.
Zur Erhöhung der CO2-Konzentration in der Atmosphäre wurden an beiden Standorten sogenannte FACE-Systeme genutzt. „FACE“ steht für „Free Air CO2 Enrichment“ (Freiland-CO2-Anreicherung). Die Anlagen in Geisenheim und Gießen haben jeweils einen Durchmesser von 8 Metern im Gießener Grünland (GiFACE oder Giessen Grassland FACE; CO2-Freisetzung seit 1998) bzw. 12 Metern im Ökosystem Weinberg (Vinyard FACE in Geisenheim, CO2-Freisetzung seit 2014) und bei Feldgemüse, wobei die Feldgemüseanlage noch nicht betriebsbereit ist. An jedem Standort wurden je drei solcher kreisförmigen Flächen unter erhöhtes CO2 gesetzt, während drei genau gleich gestaltete Flächen als Kontrollen dienten. Der Fokus von FACE2FACE lag auf den Untersuchungen zu den Auswirkungen, Mechanismen und Rückkopplungseffekten erhöhter CO2-Konzentrationen und anderer klimatischer Variablen im Zuge des Klimawandels wie Wassermangel oder Erwärmung auf die Emissionen klimarelevanter Spurengase aus dem Boden, mikrobiellen Veränderungen im Boden und auf der Pflanzenoberfläche, Auswirkungen auf tierische und pilzliche Schaderreger sowie physiologische und inhaltsstoffliche Reaktionen der untersuchten landwirtschaftlichen Kulturen.
Die Forscher des FACE2FACE Projekts erzielten zahlreiche spannende Einblicke in die „black box“ unserer CO2-reicheren Zukunft. Einige Ergebnisse entsprachen den vorab formulierten Hypothesen, andere waren überraschend und ganz anders als erwartet.
Im Gießener Grünland:
- Die erhöhten CO2-Konzentrationen steigerten wie erwartet den oberirdischen Biomasseertrag im Schnitt um 15 Prozent. Unerwartet war, dass der CO2-Düngeeffekt vornehmlich dann auftrat, wenn es weder zu heiß und zu trocken, noch zu nass und zu kalt war. Bisher galt eher die Annahme, dass die erhöhten CO2-Konzentrationen helfen würden, Trockenperioden und Hitzewellen besser zu überstehen.
- Während die Artenvielfalt des Grünlands weder positiv noch negativ von erhöhtem CO2 beeinflusst wurde, ergab sich bei der Samenbank im Boden in den obersten 10 Zentimetern des Bodens eine erhöhte Samendichte; es profitierten vor allem die Arten mit generativer (nicht vegetativer) Vermehrung und solche, deren Samen lange Zeit überdauern können. Auch das mikrobielle Leben auf den Blattoberflächen der Haupt-Bestandsbildenden Arten im Grünland änderte sich.
- Ein noch ungelöstes Rätsel ist eine leichte, aber systematische Veränderung der Bodentemperaturen im Grünland unter erhöhtem CO2: Im Sommer sind die Bodentemperaturen unter erhöhtem CO2 verhältnismäßig kühler und im Winter etwas wärmer als in den Kontrollböden.
- Eher negative Effekte der gesteigerten CO2-Konzentration fanden sich auf der Seite des Elements Stickstoff, einem wichtigen Pflanzennährstoff. Wie es durch erhöhtes CO2 zu erwarten ist, sank im Grünland die Konzentration dieses wichtigen Nährstoffs im Pflanzengewebe, und somit verschlechterte sich auch die Futtermittelqualität z. B. für Wiederkäuer; der Rohproteingehalt sank. Theoretisch müsste ein Wiederkäuer mehr fressen, um den gleichen Nährwert zu erhalten, was zu höheren Methanemissionen führen könnte (dies wurde aber im Projekt nicht untersucht).
- Im Grünland-Boden veränderten sich unter erhöhtem CO2 mikrobielle Prozesse: Die Abgabe des starken Treibhausgases Lachgas (N2O) verdoppelte sich über die Laufzeit des Experiments. Die beteiligten Forscherinnen und Forscher stellten fest, dass es zu Veränderungen in der mikrobiellen Lebensgemeinschaft im Bereich der Wurzelumgebung, aber auch im Boden insgesamt kam.
- Insgesamt tragen die gesteigerten Lachgasemissionen, die Abschwächung des CO2-Düngeeffekts unter klimatischen Extrembedingungen und auch die relativ wärmeren Bodentemperaturen im Winter, die den Abbau von Bodenhumus begünstigen könnten, zu den gefürchteten, sich selbst verstärkenden Rückkopplungsmechanismen bei: Die steigenden CO2-Konzentrationen setzten im Grünland Veränderungen in Gang, die „automatisch“ zu weiteren Treibhausgasemissionen führten und damit zu weiterer Erwärmung. Das „mehr an Ertrag“ führt also nicht automatisch zu einem Entzug von CO2 aus der Atmosphäre.
Das Geisenheimer Weinberg-FACE Experiment:
- Das Geisenheimer Experiment läuft erst seit 2014; daher stammt der erste Jahrgang, bei dem auch die Blütenanlagen schon unter erhöhtem CO2 gebildet wurden, aus dem Jahr 2015. In den Ringflächen werden zwei Rebsorten angebaut: Riesling, die für den Rheingau und Deutschland insgesamt bedeutendste Weißweinsorte, und Cabernet Sauvignon, die weltweit zweit- bis dritthäufigste Rotweinsorte. Seit Beginn des Experiments waren die ersten Jahre fast durchweg „Extremjahre“, was die klimatischen Bedingungen anging: Das Jahr 2015 war das wärmste in Deutschland und auch in Geisenheim seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Das Jahr 2016 hingegen wies im ersten Halbjahr die höchste je am Standort gemessene Niederschlagsumme (Januar bis Juni) seit 1885 auf, was eine Verallgemeinerung der Ergebnisse nicht erlaubt.
- Die phänologische Entwicklung beider Rebsorten wurde durch erhöhtes CO2 in den Jahren 2014 bis 2017 nicht beeinflusst. Die Photosynthese der Blätter und die Biomasseproduktion waren hingegen, wie erwartet, in allen Vegetationsperioden (2014 bis 2017) bei beiden Rebsorten signifikant gesteigert. Konträr zur bisherigen Literatur war die Transpiration (Wasserverbrauch) für beide Rebsorten unter erhöhtem CO2 gesteigert. Die Wassernutzungseffizienz (Verhältnis Photosynthese zu Transpiration) war trotzdem unter erhöhtem CO2 für beide Rebsorten gesteigert.
- Beide Sorten zeigten bisher für die Jahre 2014, 2015 und 2016 einen erhöhten Einzelstock-Traubenertrag unter erhöhtem CO2. Während die Anzahl der Trauben pro Stock nicht stieg, veränderte sich vor allem die Traubenstruktur. Länge und Breite des Stilgerüsts waren gesteigert, ebenso das Traubengewicht und die Beerenanzahl. Zudem nahm der Anteil größerer Beeren zu.
- Die Zuckereinlagerung wurde bei beiden Rebsorten während der Reifephasen nur geringfügig durch eine erhöhte CO2-Konzentration beeinflusst. In 2015 waren die Äpfelsäuregehalte in den Riesling-Mosten unter erhöhtem CO2 erhöht. Ansonsten führte erhöhtes CO2 bisher bei keinem der qualitätsgebendenInhaltsstoffe zu signifikant qualitätsmindernden Unterschieden in den Mosten beider Rebsorten.
- Um die Einflüsse auf die Weinqualität abzuschätzen, muss das Experiment noch einige Jahre laufen. Bisher gab es keine Unterschiede.
- Im Geisenheimer Weinberg-FACE wurden auch die Interaktionen zwischen Reben unter erhöhtem und aktuellem CO2 und dem pilzlichen Schaderreger Plasmophara viticola(Falscher Mehltau) und dem Schadinsekt Lobesia botrana(Bekreuzter Traubenwickler) untersucht. Z. B. reagieren Reben auf eine Infektion mit Falschem Mehltauunter erhöhtem CO2 mit einer signifikant höheren Genexpression als unter aktuellem CO2. Die Mehrzahl dieser beobachteten Reaktionen ist an Stoffwechselwegen beteiligt, die bei der Synthese von pflanzlichen Sekundärmetaboliten oder in Abwehrreaktionen eine wichtige Rolle spielen (z. B. Stilbene oder Zellwandproteine). Traubenwickler-Populationen adaptieren sich physiologisch an höhere CO2-Konzentrationen und zeigen nach mehreren Generationen unter erhöhtem CO2 Veränderungen in ihrer Entwicklungsbiologie.
- Bisher zeigte sich in Weinbergböden unter erhöhtem CO2keine Steigerung der Lachgasemissionen wie im Grünland in Gießen.
Bei Feldgemüse (Spinat, Radieschen, Gurken) konnten die Experimente nur sehr eingeschränkt durchgeführt werden. Hier lag der Fokus auf den Reaktionen gegenüber einem veränderten Wasserangebot ohne Auswirkungen einer erhöhten CO2-Konzentration. Hierzeigte bereits eine leichte Reduzierung des Wasserangebots signifikante Auswirkungen auf die Gehalte an ausgewählten wertgebenden Inhaltsstoffen, bezogen auf die Trockenmasse, wie z.B. Äpfelsäure und Phosphor.